„Ohne Mut gibt es keine Helden“

Wasserspringen 02.07.2013

Klippenspringen erstmals im Programm der Schwimm-WM

Rostock. „Wir sind schon verrückt. Aber das sind die ganz Verrückten", sagt der Dresdner Wasserspringer Martin Wolfram über seine Kollegen, die sich aus bis zu 30 Metern Höhe von Felsen mit waghalsigen Drehungen ins Meer stürzen. Bei der Europameisterschaft an der Ostsee waren die Klippenspringer nicht dabei, aber doch in vielen Gesprächen Thema. Denn in knapp drei Wochen feiern sie in Barcelona Premiere bei der Schwimm-WM des Weltverbandes Fina.

 

Es gibt im Turmspringen kaum spektakulärere Bilder als am Mountjuic, wenn die Athleten von der Zehn-Meter-Plattform über den Dächern der Altstadt Handstand, Salti und Schrauben zeigen. Zu erleben waren diese Aufnahmen 199.2 bei den Olympischen Spielen und 2003 bei den Welttitelkämpfen, die ab 19. Juli erneut in Barcelona Station machen. Diesmal kommen zwei Kilometer vom ,,Olympiaberg" entfernt weitere tolle Bilder hinzu. Im Hafen der katalanischen Metropole wird ein 28 Meter hohes Podest aufgebaut, von dem sich die Klippenspringer ins Meer stürzen. Die Plattform der Frauen ist immer noch atemberaubende 18 Meter hoch. High Diving, eine von Red Bull gesponserte Fun-Sportart, hat eine Heimat in der Fina gefunden und wird erstmals ins Programm der Schwimmer, Wasserballer, Synchronschwimmerinnen sowie Kunst- und Turmspringer integriert.

 

30000 Zuschauer werden erwartet, in Frankreich waren es schon mal 70000. Auch die DSV-Kunstspringer sind neugierig auf ihre Kollegen. Hin und wieder fällt: ,,Hoffentlich stehlen sie uns nicht die Show" Der siebenfache Europameister Patrick Hausding betont, dass bei den Klippenspringern viele dabei sind, die es im Wasserspringen nicht bis an die Spitze geschaft haben, ,,Ich denke auch, dass unsere Sprünge technisch anspruchsvoller sind. Denn wir haben aus zehn Metern viel weniger Zeit, um viereinhalb Salti oder unsere große Schraubensprünge zeigen." Aber eines bewundert der Berliner an den Kollegen auf den Felsen: ,,Sie haben unglaublichen Mut." Das Thema greift die einzige deutsche WM-Starterin in dieser neuen Disziplin auf, Anna Bader aus Mainz schreibt auf ihrer Homepage: ,,Ohne Mut sind Entscheidungen blass und halbherzig.

 

Ohne Mut gibt es keine Helden. Ich plädiere für Mut." Zum Klippenspringen kam sie mit 17 durch Zufall in einem Jamaika-Urlaub, als Einheimische die damalige Turmspringerin überredeten, es mal vom Felsen zu versuchen. Sie leckte Blut und übte den ganzen Tag mit den Jungs aus der Karibik die verrücktesten Sprünge. Fünf Jahre später wurde die heute 29-Jährige Cliff-Europameisterin.

 

Die wenigsten EM-Springer des DSV würden sich selbst in extreme Höhen wagen. Der Leipziger Stephan Feck, der selten höher als aufs Drei-Meter-Brett geht und sich von Bundestrainer Lutz Buschkow daher ab und an den Titel ,,Weichei" gefallen lassen muss, winkt gleich ab. EM-NeuIing Dominik Stein meint: ,,Mir reichen zehn Meter vollkommen, ich wüsste auch gar nicht, wo ich Sprünge aus größeren Höhen üben soll. Für mich ist das nichts, das ist eher etwas für Bekloppte." Nur Martin Wolfram würde gern mal das Wasser aus 28 Metern Höhe betrachten und überlegt Iaut: ,,Falls meine Schulter mir irgendwann ein Stoppzeichen gibt, würde ich es vielleicht versuchen." Denn die Klippenspringer tauchen nicht kopf-, sondern fußwärts ein. ,,Die Verletzungsgefahr für Handgelenke und Kopf wäre zu groß", meint Buschkow. Sie ist aber nicht zu verachten. Bei jedem Klippen-Event befinden sich Taucher im Wasser, die die Athleten im Notfall ans Land bringen. Denn ein Schlag in die Magengrube bei unsanfter Landung kann kurzzeitige Bewusstlosigkeit erzeugen.

 

Erstaunlich findet Uwe Fischer, wie die Klippenspringer neue Sprünge lernen. Wenn der Leipziger Trainer eine anfangs schwer zu beherrschende Schwierigkeit üben lässt, stellt er in der Halle per Knopfdruck die ,,Blase“ an. Dann sprudelt es im Becken extrem, der Wasserwiderstand ist nun gering. Ein Bauchklatscher fühlt sich dann nicht mehr an, als pralle 'der Athlet auf Beton, sondern in ein gemütliches Daunenbett. Diese Hilfsmittel gibt es im rauen s und kalten Meer nicht, dafür muss die natürliche Gicht herhalten, wie es der 63-Jährige mal im mexikanischen Acapulco erIebt hat. Von Konkurrenz durch die KIippen-Profis will die Springer-Auswahl zunächst nichts wissen, eher von einer Ergänzung. „Sie nehmen uns ja nichts weg", meint Uwe Fischer. Die Anzahl der WM-DiszipIinen im Becken sei konstant. Anders könnte es aussehen, wenn die High Diver ins olympische Programm drängen. Dann ist nicht auszuschließen, dass die 136 Kunstspringer ein paar Plätze abgeben müssen. Doch bislang gibt es dem Vernehmen nach beim High Diving noch nicht mal Dopingkontrollen...

 

Für die Fina bringt der Auftritt der „Verrückten" in jedem Fall mehr Aufmerksamkeit für die WM und einen engen Draht zum milliardenschweren Sponsor Red Bull. „Das wird eine riesige Show", glaubt Fischer. Buschkow ergänzt: „Wer sieht nicht gern leistungssportlichen Zirkus?" Den können und wollen die meisten etablierten Sportarten nicht bieten.

 

Frank Schober, DNN vom 29.06.2013

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